Die Geschichte eines Schranks

Ein Liebesobjekt von Maler und Architekt Ibrahim Kaya

Das Liebesobjekt von Ibrahim Kaya: der Schrank.

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1966 kam Ibrahim Kayas Vater aus Zentral-Anatolien nach Deutschland. Ibrahim wuchs mit drei Geschwistern in kleinen und beengten Verhältnissen auf – bis das Glück begann. Ibrahim freundete sich beim Spielen mit den Kindern einer Künstlerfamilie an, die in einer geräumigen schönen Wohnung lebte. Die Künstlerfamilie (ein erfolgreicher Maler) wanderte 1980 nach Griechenland aus und sorgte dafür, dass die attraktive Wohnung seinen Freunden, der Familie Kaya, als Wohnung zur Verfügung stand. Dieses Wohnhaus wurde von dem jüdischen Architekten Fritz Landauer erbaut und von ihm selbst als Wohnhaus genutzt.  Als Erbe der Vormieter aus der Zeit Landauers verblieb ein schlichtes aber klassisch einfaches Möbelstück, eben dieser eine Schrank, in dieser Wohnung. Ibrahim erspürte die besondere Geschichte des Schranks – die Geschichte der früheren Besitzer, von der Zeit als jüdische Architekten hoch angesehen waren in Deutschland, von dem Stararchitekten Fritz Landauer und seinen Grab- Monumenten und Prachtbauten wie der Synagoge in Augsburg. Von dem Leid das die jüdische Gesellschaft erfuhr, dem die Familie Landauer durch rechtzeitige Emigration entkam.

Ibrahim studiert Architektur und wird Maler. Als Künstler versucht er in mehr als 30 Berufen, seine Kreativität auszuweiten und auszuleben. Der Schrank speichert all dies, ist umgeben von den Objekten und Zeugnissen der künstlerischen Anstrengungen. Der Schrank wurde von dem 14-jährigen Ibrahim nicht nur mit Klamotten gefüllt, sondern mit all seinen persönlichen Dingen, die ein pubertierender Junge so sammelt und als zu ihm gehörende Dinge aufbewahrt – um irgendwann als „Kruscht“ entsorgt zu werden. Bis auf den Schrank selbst natürlich, der als Erinnerung für die ganzen Liebesobjekte, Klamotten, Schulunterlagen und anderer Entbehrlichkeiten Begleiter in Ibrahims Leben wurde.

Beim Auszug der Familie Kaya 1993 sollte der Schrank verkauft werden. Und hier beginnt sich die Beziehung von dem nun 27 jährigen Jungarchitekten Ibrahim zu dem Schrank des ehemaligen Vorbesitzers Fritz Landauer erst richtig zu entwickeln. Statt den Schrank zu einem damals gebotenen Liebhaberpreis zu verkaufen, erkannte Ibrahim: Der Schrank will zu mir, will mich in meinem Leben begleiten. Durch diverse WG`s und Wohnungen wurde der Schrank also Zeuge des Lebens von Ibrahim, vom Architekten bis heute. Ibrahim hat den Schrank immer mitgenommen. Er betrachtet den Schrank wie ein Geschenk der Deutschen Kultur an den türkischen Migranten. Der Schrank erzählt Ibrahims Geschichte.

Text und Bild: Wolfgang M. Hirscher

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